Liebe Aumühlerinnen und Aumühler, liebe Menschen der Sachsenwald-Region,
Wer bin ich?
Diese Frage stelle ich mir manchmal. Ich stelle sie mir besonders dann, wenn ich aus Gesprächen komme, wo Menschen mir so viel Persönliches über sich erzählen, in Tauf-, Trau- oder Beerdigungsgesprächen.
In Taufgesprächen: Wenn mir die Eltern über ihre Wünsche zum Leben für das Neugeborene erzählen. Wenn so viel Hoffnung und Sehnsucht mitschwingt. Wenn das Leben noch so verletzlich und offen vor einem liegt. Dann denke ich auch über mein Leben nach. Darüber, was das Leben eigentlich ausmacht. Dass es doch eigentlich immer noch so verletzlich vor mir liegt und ich mir oft nur vormache, es sei alles geordnet und geregelt. Dann denke ich über meine Hoffnungen und Sehnsüchte nach. Über meine Wünsche ans Leben. Lebe ich es so, wie ich möchte? Schiebe ich meine Wünsche auf, oder lebe ich sie?
In Traugesprächen: Wenn mir das Paar gerade die eigene Geschichte erzählt hat, mit Höhen und Tiefen, durch dick und dünn. Dann lande ich automatisch auch bei meiner eigenen Liebes-Geschichte. Und frage mich, ob ich noch in der Freude und Liebe bin, die am Anfang war. Wo unsere Liebe gerade steht? Wer wir sind, wie wir geworden sind, welche Geschichte uns geprägt hat, durch dick und dünn? Ob wir noch so sind, wir sein und leben möchten? Wie wir uns wieder und weiter von der Liebe tragen lassen können, die doch auch so verletzlich ist, wie das Leben selbst?
In Beerdigungsgesprächen: Wenn das Leben eines Menschen vor mir ausgebreitet wird. Im Nachhinein. Die Geburt und Kindheit, die berufliche Laufbahn, die Liebe, manche Herausforderungen und Brüche auch. Dann das Ende und wie damit umgegangen wurde. Dann frage ich mich: Wie wird man einmal über mich erzählen? Wie werde ich sein, wenn das Ende naht? Und dann lande ich im Hier und Jetzt: Wie möchte ich leben? Wer möchte ich sein? Wer bin ich?
Als Pastor werde ich oft in meiner Funktion wahrgenommen. Das ist gut so, und ich nehme das gerne an. Aber es gibt auch immer wieder Momente und Zeiten, wo ich mich frage: Wer bin ich - jenseits meiner Funktion und meines Amtes? Ich finde es wichtig, mir das immer wieder bewusst zu machen: Dass wir alle gemeinsam auf diesem Planeten leben. Dass das Leben verletzlich ist und wir das Wesentliche nicht selbst machen können: Gesundheit, Glück und frohen Mut. Dass wir alle Freunde, Partner brauchen, die uns so sehen - frei von Bewertung, Leistung und Rolle. Dass wir alle auf der Suche nach Hoffnung, Liebe und Glück sind. Dass vor Gott keiner besser oder schlechter, höher oder tiefer steht, als ein anderer.
Dietrich Bonhoeffer, der Pastor und Widerstandskämpfer, hat sich auch diese Frage gestellt: Wer bin ich? Er stellt sie sich explizit im Juni 1944. Da schreibt er seine Zeilen, denen er diese Überschrift gibt: „Wer bin ich?“ Zuerst beschreibt er das, was andere über ihn sagen. Die Wahrnehmung von außen. Dann beschreibt er sich selbst, so, wie er sich sieht. Die Wahrnehmungen klaffen auseinander. Die anderen sehen ihn stolz, erhaben und groß – er sich selbst wehmütig, zweifelnd und schwach. Das Schöne finde ich: Er löst diese Widersprüche nicht einfach auf. Sie bleiben stehen. Sie haben ihr Recht. So, wie es in uns doch auch oft beides gibt: Zweifel und Vertrauen, Schwäche und Stärke, Versagen und Gelingen. Alles das legt er nun Gott ans Herz, wenn er zuletzt sagt: „Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott.“
Das wünsche ich mir und uns allen: Dass wir uns mutig und ehrlich immer mal wieder fragen, wer wir sind. Dass wir mit unseren Hoffnungen, Sehnsüchten und Wünschen in Kontakt sind. Dass wir nicht alles aufschieben, sondern leben – hier und jetzt. Und dass wir uns mit allem an Gott werden können. Auch mit dem, was anders kommt und wo wir nicht mehr so genau wissen, wer wir nun gerade sind, was wir oder andere über uns denken sollen. Weil wir Gottes Stimme glauben und vertrauen: „Du bist mein geliebtes Kind, an dir habe ich Freude“ (Markusev. Kap.1, Vers 11).
Herzlich, Ihr und Euer Pastor Christoffer Sach